Kolloquium

Helmut Krausser und die Gegenwartsliteratur der Romantik

06.-08.12.2007 im Literaturhaus München

Programm

 

Das Kolloquium Helmut Krausser und die Gegenwartsliteratur der Romantik findet im Anschluss an die Poetikprofessur der LMU statt, die im Wintersemester 2007/08 die von Wolfgang Frühwald begründete Tradition mit dem Schriftsteller Helmut Krausser wieder aufnimmt und fortführt. Das Kolloquium untersucht das spannungsreiche Verhältnis zwischen signifikanten Tendenzen der Gegenwartsliteratur und der Rezeption der Romantik im Werk Helmut Kraussers. Es analysiert erstmals die Aufnahme europäischer Literaturtraditionen wie der Romantik und des realistischen Erzählens in der Gegenwartsliteratur. Zugleich blickt das Kolloquium exemplarisch am Beispiel des Werks von Helmut Krausser auf das zeitgenössische literarische Feld in Deutschland und die Rezeption deutscher Literatur im Ausland.

Helmut Krausser gehört zu den avanciertesten Literaten der deutschen und internationalen Gegenwartsliteratur. Er gehört zu den Erzählern, die es verstehen, an die großen europäischen Erzähltraditionen der Romantik und des Realismus anzuknüpfen und diese Tradition eigenständig weiterzuführen, innovativ und geradezu avantgardistisch mit Erzählkonstruktionen umzugehen, ungeahnte erzählerische Raffinessen in Texte einzubauen und die Plots auf sehr komplexe Weise zu entfalten.

Das ist nicht zuletzt durch die thematischen Interessen seiner Texte vorgegeben. Will man es auf den Begriff bringen, so könnte man Helmut Krausser den letzten Romantiker, den Romantiker in der Gegenwartsliteratur nennen – und zwar durchaus in einem literarhistorisch kritischen Begriff von Romantik. Romantik wäre hierbei weniger als eingeschränkte Epochenbezeichnung zu verstehen, denn vielmehr als Begriff eines komplexen Problempotenzials epochalen Ausmaßes im Ausgang des Aufklärungsdenkens und am Beginn der Moderne. Gemeint ist hier ein Verständnis von Romantik, in dem sich in seiner literarischen Ausprägung in ganz besonderer Weise jene Aporien bündeln, die mit der Idee eines sich selbst ästhetisch begründenden Subjekts im Kontext einer freiheitlichen Grundordnung verknüpft sind. Als typisch romantische Problempotenziale verstanden werden können in diesem Sinne Fragen nach den Bedingungen der Möglichkeit, aber auch nach den Grenzen und nach (den Formen) der Unmöglichkeiten subjektiver Selbstbegründung, nach dem Selbstverlust, nach der daraus resultierenden Bedeutung der Liebe und Sexualität (Eros), aber auch ihrer Nachtseiten, Verwerfungen, Verzerrungen, einerseits und der Kunst und vor allem der Musik andererseits (Melodien), auch nach den Formen scheiternder Selbstbegründung im Wahnsinn und Tod und schließlich auch die Frage nach den Folgelasten dieser scheiternden Subjektkonstitution für die soziale Ordnung, also nach Verbrechen, Gewalt und Perversion (Hagen Trinker, UC).

Helmut Krausser greift in seinem Werk diese Problempotenziale auf und aktualisiert sie, indem er sie an die Bedingungen moderner oder postmoderner, bürgerlicher oder spätkapitalistischer Lebenswelten anpasst, dabei aber zugleich auch ihre zeitüberdauernde Relevanz ausstellt. Als eines der wichtigsten literarischen Instrumente dient ihm hierzu der Mythos: Er mythisiert seine Helden und Sujets und reflektiert doch gleichzeitig den Mythos als eine Form der Rede, die das historisch spezifische Problempotenzial überzeitlich aktualisiert, indem sie es auf grundlegende Bedeutungen zurückführt. So wird z.B. der Wahnsinn durchaus in psychotherapeutische Kontexte gestellt, aber gleichzeitig die Unmöglichkeit des analytischen Zugriffs aufgezeigt, der vor einer Konstellation kapitulieren muss, in der die Infragestellung auch auf die Formen ihrer Beschreibung ausgreift (Der große Bagarozy, Schmerznovelle).

Das sind die großen Themen, die Helmut Krausser, wohl als einer der ganz wenigen Autoren der Gegenwartsliteratur, nicht scheut: das gefährdete oder scheiternde Subjekt, den Wahnsinn, die Kunst, die Musik, aber auch die Literatur, die Liebe und die Sexualität an den extremen Rändern der Gesellschaft, ganz unten oder ganz oben, im Spannungsfeld von Mittellosigkeit und überbordendem Wohlstand. Hauchdünn ist dabei die Linie zwischen einer elaborierten Kultur und ihren Abgründen in der Obsession, der Perversion und dem Verbrechen, auf der sich die Protagonisten seiner Texte bewegen. Nachzuvollziehen, wie die Gegenwartsliteratur Helmut Kraussers gerade durch den äußerst produktiven Umgang mit der literarischen Tradition ihre Gegenwärtigkeit gewinnt, ist die leitende Perspektive des Kolloquiums. Es zeichnet dieses Werk geradezu aus, dass die Formen seiner Aktualität zugleich jene Formen sind, die dem Werk einen inneren Zusammenhalt geben.

 

Die Tagung wird gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung, vom Deutschen Literaturfonds e.V. und von der Münchener Universitätsgesellschaft.

 

Erstellt für IE 6, 1024x768x32, © Dr. Claude D. Conter . Zuletzt aktualisiert am: 15.10.2007